oder: wie sich schlechte Erinnerungen auflösen
Es riecht nach gebohnertem Linoleum, nach Schulkakao, nach Kaugummi und doch riecht es eigentlich nur nach altem Papier und etwas feuchtem Keller: das alte Heftchen mit den Erläuterungen zu Lessings Minna von Barnhelm. Die Erinnerungen an verständnislose Lektüre, Pflichtseiten, Zusammenfassungen und Analysen – es hat mir selten Spaß gemacht. Minna – was für ein ältlicher Name.
Heute aber locken die alten vergilbten Seiten. Die schöne alte Schrift mit ihren Schnörkeln und die eine oder andere Anmerkung haben eine ganz eigene Ästhetik. Die Überarbeitungen von Reclams Erläuterungen zeigen sich nach vielen Jahren mit einem neuen Gesicht.
Die schlechten Erinnerungen werden verdrängt durch neue Assoziazionen zu dem alten und schön gesetzten Text. Die klaren orangefarbenen Felder finden den Bogen vom Heute zum verspieltem Gestern.
Die einzelnen Blätter zusammengefügt ergeben neue Sichten in harmonischer Form und die schwarzen Zeichnungen weisen auf vergangene Zeiten inmitten von Kriegen, Intrigen und dunklen Machenschaffen hin. Aber es gibt auch Verspieltes, fast Verliebtes ist zu finden. Die Menschheit hat sich in den vergangenen 200 Jahren nicht wesentlich verändert.